Eine Gruppe von Menschen diskutiert über Innovation. Ein Ziel zu erreichen, eine Idee zu schaffen. Vektor-Illustration

Wie Gründer:innen mit Migrationsbezug die Wirtschaft prägen – und welche Hürden sie überwinden müssen

Gründerinnen mit Migrationsbezug sind ein unterschätzter Innovationstreiber in Deutschland. Der "Innovationsmonitor Migration" von uns und dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt, dass Gründer:innen mit Migrationshintergrund nicht nur besonders innovativ sind, sondern deren Unternehmen auch großes Wachstumspotenzial mitbringen. Gleichzeitig sehen sie sich überproportional oft mit Finanzierungshürden konfrontiert, die ihre Entwicklung bremsen – und damit auch den Beitrag, den sie zur gesamtwirtschaftlichen Dynamik leisten könnten.

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Dr. Jennifer Eschweiler
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Julia Scheerer
Senior Project Manager

Gründungsdynamik mit Migrationsbezug wächst – und bleibt unterschätzt

Die Analyse basiert auf Daten aus dem IAB/ZEW-Gründungspanel, das über einen Zeitraum von fast 20 Jahren rund 40.000 Unternehmensgründungen untersucht hat. Sie zeigt: Der Anteil der Gründungen mit mindestens einer Person mit Migrationsbezug hat sich zwischen 2005 und 2022 mehr als verdoppelt – von 8 auf 19 Prozent.  Inzwischen hat jede fünfte Unternehmensgründung in Deutschland eine Gründerperson mit Migrationshintergrund.

Diese Entwicklung unterstreicht das große unternehmerische Potenzial von Menschen mit Migrationsbiografien. „Die Studienergebnisse zeigen, dass diese Gründer:innen nicht nur eine hohe unternehmerische Eigeninitiative mitbringen, sondern auch gezielt Wachstum und Innovation anstreben“, sagt Julia Scheerer, Wirtschaftsexpertin der Bertelsmann Stiftung.

Mehr Innovation trotz struktureller Benachteiligung

Gründungen mit Migrationsbezug sind besonders innovativ: Im Vergleich zu anderen jungen Unternehmen haben sie eine um 14 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, mit weltweit neuartigen Produkten oder Dienstleistungen auf den Markt zu gehen. Auch die Bereitschaft zu Forschung und Entwicklung liegt höher.

Doch dieses Innovationspotenzial wird nicht in vollem Umfang genutzt. Einer der zentralen Gründe: Schwierigkeiten beim Zugang zu externer Finanzierung. So berichtet etwa jede fünfte Gründung mit Migrationsbezug von Problemen bei der Kapitalbeschaffung – deutlich mehr als Unternehmen ohne Migrationsbezug.

Finanzierung: Zu oft auf sich allein gestellt

Im Vergleich zu anderen Gründer:innen sind Personen mit Migrationsbezug deutlich häufiger auf Eigenkapital oder auf Unterstützung durch Familie und weitere Menschen aus dem privaten Umfeld angewiesen. Der Zugang zu klassischen Bankkrediten ist erschwert – auch bei vergleichbarer Qualifikation, Branche und unternehmerischer Erfahrung. Das weist auf implizite Barrieren hin, die sich negativ auf die Chancengleichheit im Finanzsystem auswirken könnten.

Der Anteil der Gesamtfinanzierung durch Wagniskapital ist in der Gruppe der Gründungen mit Migrationsbezug etwas größer als bei anderen Unternehmen. Sie profitieren allerdings trotz ihres hohen Potenzials nicht in höherem Maße von staatlicher Förderung.  Eine gezielte Weiterentwicklung bestehender Förderprogramme könnte hier Abhilfe schaffen – etwa durch eine stärkere Einbindung migrantischer Netzwerke oder den Abbau sprachlicher und bürokratischer Hürden.

Vielfältige Motive und resiliente Strategien

Entgegen weit verbreiteter Annahmen sind Gründungen von Personen mit Migrationshintergrund nicht primär durch wirtschaftliche Not motiviert. Zwar nennen sie „bessere Verdienstmöglichkeiten“ häufig als Gründungsmotiv, doch auch strategische Beweggründe wie „selbstbestimmtes Arbeiten“ oder „Unternehmenswachstum“ spielen eine zentrale Rolle.

Diese Gründungen sind nicht selten Ausdruck von Resilienz und unternehmerischem Weitblick. In ihrer Zusammensetzung sind sie oft international und interkulturell – etwa jedes dritte Team mit Migrationsbezug wird in Zusammenarbeit mit deutschen Mitgründer:innen gegründet. Kulturelle Vielfalt erweist sich hier als Stärke.

Keine Unterschiede beim Wachstum – aber ungenutztes Potenzial

Trotz der genannten Herausforderungen entwickeln sich Gründungen mit Migrationsbezug bei Umsatz und Beschäftigung ebenso dynamisch wie ihre Pendants ohne Migrationsbezug. Allerdings würde man bei der höheren Innovationsleistung auch höheren wirtschaftlichen Erfolg erwarten. Dies legt nahe, dass bestehende Strukturen nicht ausreichend darauf ausgelegt sind, das Potenzial dieser Unternehmen mit Migrationsbezug zu fördern.  Dies bestätigt auch Shamila Borchers vom Migrant Accelerator, die unsere Studie gründlich studiert und kommentiert hat: „Diese Studie zeigt schwarz auf weiß, was viele migrantische Gründer:innen täglich spüren: Talent allein reicht nicht – es braucht Strukturen, die Zugang und Teilhabe wirklich ermöglichen.“

Handlungsempfehlungen: Vielfalt gezielt fördern

Die Studie macht deutlich: „Der unternehmerische Beitrag von Menschen mit Migrationsbezug ist ein bedeutsamer Teil der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands – und zugleich ein Bereich, in dem Potenziale noch gefördert werden können“, sagt Jennifer Eschweiler, Gründungsexpertin der Bertelsmann Stiftung.

Daraus ergeben sich klare Handlungsfelder für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft:

  1. Abbau von Finanzierungsbarrieren: Banken und Investor:innen müssen für die strukturellen Herausforderungen migrantischer Gründer:innen sensibilisiert werden. Der Aufbau vertrauensvoller Finanzbeziehungen – etwa durch Vermittlung über diversitätsorientierte Anlaufstellen – kann hier entscheidend sein.
  2. Förderprogramme inklusiver gestalten: Öffentliche Fördermaßnahmen sollten zielgerichtet für Gründer:innen mit Migrationsbezug geöffnet werden – etwa durch niedrigschwellige Informationsangebote, mehrsprachige Beratung und gezielte Ansprache migrantischer Netzwerke.
  3. Unternehmerische Vielfalt sichtbar machen: Die öffentliche Wahrnehmung von Gründungserfolg ist vielfach noch von Stereotypen geprägt. Sichtbarkeit und Anerkennung erfolgreicher migrantischer Gründer:innen können als Vorbilder wirken und gesellschaftliche Narrative verändern.
  4. Stärkung interkultureller Teams: Gemischte Gründungsteams vereinen unterschiedliche Perspektiven und erhöhen die Resilienz und Innovationsfähigkeit junger Unternehmen. Netzwerke und Programme, die den Austausch über Herkunftsgrenzen hinweg fördern, verdienen besondere Unterstützung.

Ausblick

Gründungen mit Migrationsbezug sind ein wertvoller Bestandteil des deutschen Innovationssystems. Sie verbinden Vielfalt mit Dynamik – und bereichern den Wirtschaftsstandort Deutschland. Um ihr volles Potenzial zu entfalten, braucht es gezielte Unterstützung, faire Finanzierungsbedingungen und die Anerkennung ihrer Leistungen in Öffentlichkeit und Politik. Unsere Studie liefert hierfür eine fundierte Datengrundlage – und zeigt Wege auf, wie Deutschland seine Gründungslandschaft zukunftsfähig und inklusiv gestalten kann.

Ergebnisse im Detail

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