Menschengruppe bei der Transform in Berlin, 19.03.2025 in Berlin

Privilegien im Gründungsgeschehen auf die Spur kommen – Das Stiftungsmotto „Menschen“ bewegen einmal ganz wortwörtlich beim Privilege Walk genommen

Innovative Gründungen treiben Fortschritt voran. Doch Deutschland liegt im internationalen Vergleich zurück. Wollen wir mehr Startups, müssen wir bislang marginalisierte Gründer:innen unterstützen. Studien zeigen: Geschlecht, Alter, soziale Herkunft oder Migrationsbezug beeinflussen die Chancen auf Erfolg.

Foto Jennifer Eschweiler
Dr. Jennifer Eschweiler
Project Manager
Foto Julia Scheerer
Julia Scheerer
Senior Project Manager

Inhalt

Auf der TRANSFORM 2025 in Berlin wurden wir dem Stiftungsmotto "Menschen bewegen" einmal im wahrsten Sinne des Wortes gerecht: unser Privilege Walk machte ungleiche Startbedingungen sichtbar und lud ein, eigene Privilegien zu reflektieren. Denn auch in der Welt der Startups ist Chancengleichheit noch lange nicht erreicht. Frauen, Menschen mit Migrationsbezug, junge Leute und Nicht-Akademiker:innen haben schlechtere Chancen, erfolgreich oder überhaupt ein Startup zu gründen. Teilnehmende konnten diese Benachteiligung erleben und gemeinsam diskutieren.

Der Privilege Walk: Ein Hands-on-Format für gesellschaftliche Ungleichheit
Unbewusste Vorurteile prägen Entscheidungen und Strukturen. Der Privilege Walk ist ein Format, das Privilegien und Benachteiligungen verschiedener Gruppen erlebbar macht. Die ungleiche Verteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen wird hierdurch besonders gut veranschaulicht.

Dazu schlüpfen Teilnehmende in zufällig zugewiesene Rollen – in unserem Fall fiktive gründungsinteressierte Personen mit verschiedenen biografischen Merkmalen. In den meisten Fällen unterscheiden diese Zuschreibungen sich von den wahren eigenen Lebensumständen. Hier ist also Vorstellungsvermögen gefragt, denn die Antworten sollen aus Sicht der jeweiligen Rolle gegeben werden. Im Fokus steht nicht faktische Korrektheit, sondern die subjektive Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität.

Der Privilege Walk unterscheidet sich von Panels oder Vorträgen durch seinen erfahrungsorientierten Ansatz. Teilnehmende bewegen sich anhand von Ja-/Nein-Statements durch den Raum, wodurch Privilegien und Benachteiligungen körperlich erfahrbar werden. Beispiele für Aussagen während des Walks sind: „Ich bin männlich.“ Oder „Ich habe noch nie persönliche Erfahrung mit Rassismus gemacht.”Wer nach des Walks vorne steht, verkörpert eine privilegierte Position. Im Kontext des Gründertums entspricht dieser Prototyp häufig einem männlichen Akademiker ohne Migrationshintergrund, dessen Eltern selbst studiert oder gegründet haben.

Da es mitunter herausfordernd ist, sich von der eigenen Perspektive zu lösen, gewinnt die anschließende Reflexion umso mehr an Bedeutung. Sie soll das Bewusstsein für Ungleichheiten fördern und zur Diskussion über konkrete Schritte in Richtung Chancengleichheit anstoßen. So zeigte sich nach unserem Walk, dass die Rollenkarte, die letztlich an vorderster Stelle lag, zwar allen genannten Kriterien entsprach, jedoch einen Migrationsbezug aufwies – offenbar hatte die betreffende Person bei der Auswahl vor allem die Dimension Geschlecht berücksichtigt. Hier wird deutlich: Intersektionalität, also das Überschneiden und Zusammenwirken verschiedener Formen von Diskriminierung oder Ungleichheit, ist uns oft nicht bewusst und vielen Gründer:innen schlicht nicht aus eigener Erfahrung bekannt.

Vom Anspruch zur Wirklichkeit: Der Weg zur Chancengleichheit

Unser Walk bestätigt Ergebnisse von Studien der Bertelsmann Stiftung, die im Rahmen der bevorstehenden „Initiative Inclusive Entrepreneurship“ erhoben wurden: Frauen, besonders Mütter, fühlen sich im Startup-Bereich und bei der Finanzierung benachteiligt. Teilnehmerinnen berichteten, dass sie automatisch für die Marketing-Managerin und nicht die IT-Expertin gehalten werden oder bei Finanzierungsrunden in gemischten Teams erfolgreicher waren als in rein weiblichen. Weitere Diversitätskriterien wie Migrationshintergrund, Alter und soziale Herkunft wurden diskutiert.

Katharina Kreutzer, die als junge Gründerin mit MUVN ihr zweites Unternehmen im Bereich Mobilität und Logistik aufbaut, teilte offen ihre Erfahrungen – als Frau und Tochter von Unternehmer:innen ohne akademischen Hintergrund. Beim Privilege Walk, wo sie in keine Rolle schlüpfte, sondern auf Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen vorwärts ging oder stehen blieb, landete sie überraschend weit hinten – ein eindrückliches Beispiel dafür, dass sich mit Engagement, Mut und Durchhaltevermögen trotzdem viel erreichen lässt.

Gemeinsam vielfältig. Gemeinsam zukunftsfähig

Wenig überraschend: die Herausforderungen von Minderheiten im Startup-Sektor ähneln sich – dennoch fehlen bislang Initiativen, die sie gemeinsam adressieren und konkrete Handlungsempfehlungen bündeln. Diverse Gründer:innen brauchen Netzwerke, Förderinstrumente und Zugang zu Informationen, die Diversität ausdrücklich fördern. Das Startup-Ökosystem braucht vielfältige Rollenvorbilder, durchlässigere Netzwerke sowie exklusive Zirkel und mehr Finanzierungsangebote für unterrepräsentierte Gründer:innen. Die bevorstehende “Initiative Inclusive Entrepreneurship” der Bertelsmann Stiftung wird all diese Punkte detaillierter beleuchten.

Fazit unseres Privilege Walks auf der Transform: mit diesem Format wird Intersektionalität sichtbar. Es regt zur Auseinandersetzung mit Teilhabe, Chancen und strukturellen Barrieren an. Unser Ziel: ein inklusiveres Startup-Umfeld, das allen Menschen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter oder sozialem Status Chancen bietet. Nur so können wir Innovation und Zukunft nachhaltig in Deutschland gestalten.

Am Vorabend der Hinterland of Things (04.06.2025) findet unser nächster Privilege Walk statt – mit dem Ziel mehr und mehr Akteur:innen innerhalb des Startup-Ökosystem für Diversität zu sensibilisieren. 

Unsere Autorin Alina Redeker, Praktikantin im Programm 'Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft'

Publikationen

Cover Young Founders Monitor

Ivo Andrade, Dr. Tobias Bürger, Dr. Jens Schüler, Prof. Dr. Matthias Baum, Dr. Natalia Gorynia, Armin Baharian, Dr. Florian Täube

OSZAR »